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RGZ Weserbergland: Das mitwissende Umfeld und der Online-Unterricht
Einige Beobachtungen aus der Praxis
Der Online-Unterricht im Bereich Grundbildung ist noch keine Regel, sondern eine Ausnahme. Die Corona-Krise zwingt alle Beteiligten dazu, diese Ausnahme zuzulassen, doch sobald sich die Situation entspannt, wechseln die Bildungsanbieter sowie die Teilnehmenden mit großer Erleichterung in den gewohnten Präsenzmodus.
Es sieht so aus, dass es in der nächsten Zukunft nicht anders sein wird. Neben den allgemein bekannten Gründen dafür (unzureichende Internetversorgung, Fehlen von notwendiger Ausstattung, technische Probleme bei der Umsetzung, usw.) gibt es noch die spezifischen der Zielgruppe selbst. Die Menschen mit geringen Lese-und Schreibkompetenzen müssen die Schriftsprache mithilfe eines Mediums erlernen, das sie nicht beherrschen. Da ist die Katze, die sich in den eigenen Schwanz beißt.
Um den TN den Zugang zum Online-Unterricht zu ermöglichen, bzw. zu erleichtern, werden praktisch immer Schulungen und Beratungen im Vorfeld angeboten, die Schritt für Schritt den Umgang mit der Technik erklären. Doch irgendwann kommt der Moment, zu dem die Lernenden mit ihrer Technik alleine zu Hause sind. Die Lehrkräfte und die Mitschüler*innen sind auch nicht vor Ort, um Hilfe zu leisten. Man fühlt sich der Technik ausgeliefert. Da kommt Frust und Unlust auf allen Seiten auf.
Beim Online-Unterricht besteht jedoch eine große Chance, das mitwissende Umfeld zur Hilfe heranzuziehen. Meistens sind es Familienmitglieder, Freunde und Nachbarn, die aufgrund ihres Alters und ihrer Sozialisation den neuen Medien gegenüber offen und affin sind. In der Regel können sie auch gut Deutsch. An sie kann man appellieren, damit der obige Teufelskreis zerrissen wird. Eine gute Strategie ist es diesbezüglich deshalb, schon vor Beginn des Online-Unterrichts abzufragen, wer den TN mit ihrer Software und Hardware normalerweise Unterstützung leistet. Idealerweise sind diese Personen sind dann vor Ort, um die technischen Probleme zu lösen und nach Bedarf zu dolmetschen. Sie leisten dann, so gesagt, den technisch-sprachlichen Support. Neben diesem wichtigsten Aspekt kann die Hilfe vor Ort noch ganz unterschiedlich ausfallen: z.B. Verleih von ihrem Gerät für die Dauer des Unterrichts oder Zugang zum eigenen WLAN.
Das Gelingen des Online-Unterrichts, besonders in seiner stressigen Anfangsphase, hängt also hochgradig davon ab, ob die TN vor Ort Hilfe bekommen, die sie benötigen. Eine gute Strategie besteht also darin, die TN aufzufordern, sich Hilfe vor Ort, zumindest für die ersten 1-2 Online-Sitzungen, zu organisieren. Da, wo es funktioniert, normalisiert sich die Situation mit der Zeit, und die Akzeptanz des Online-Unterrichts wird viel höher.
In der Grundbildung wurde bisher das mitwissende Umfeld als wichtige Ressource vor allem im Zusammenhang mit der Gewinnung und der Ansprache der Menschen mit geringer Schriftsprachkompetenz wahrgenommen. Doch damit hört ihre Rolle und Funktion nicht auf. Gerade bei Online-Lese-Schreibkursen ist diese Ressource häufig unverzichtbar, das sind die unsichtbaren Brückenbauer im Hintergrund. Berater*innen und Lehrkräfte sollen im kollegialen Austausch Strategien und Taktiken entwickeln, wie sie im Sinne der Lernenden am besten auf diese Ressource zurückgreifen können.
Autorin: Nadzeya Günther / Foto: Pixabay